Psych. Belastungen - Fazit nach 10 Jahren Gesetz & 1 Pandemie
Update zur Gefährdungsbeurteilung bzw. Evaluierung psychischer Belastungen: Wie sich meine Projekte über die letzten 10 Jahre verändert haben, welche Aspekte aktuell eine Rolle spielen und was ich mir für die nächsten 10 Jahre wünsche
Seit 10 Jahren ist die Gefährdungsbeurteilung bzw. Evaluierung psychischer Belastungen nun schon in Österreich und Deutschland gesetzlich sehr klar verankert. Ich erzähle Ihnen darum in der Podcast-Episode 153, was aktuell die großen Themen sind bei den Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen, die ich in Firmen durchführe und was ich mir für die kommenden 10 Jahre vorstelle.
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Bist Du schon Mitglied in der Online-Akademie für Pioniere der Prävention?
Wahrscheinlich schon. Dann schau gern in die große Bibliothek: Dort gibt’s extrem viele Infos zu diesem Lieblingsthema von mir (z.B. wie man psychische Belastungen in Online-Workshops ermittelt).
Bei Fragen rund um das Thema Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen komm gern zum nächsten Stammtisch oder poste im Forum.
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Lassen Sie mich eine kleine Geschichte erzählen
Vor 11 Jahren wurde das Gesetz zur Evaluierung psychischer Belastungen, das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, in Österreich verändert. Es wurde damals vorgelesen im Nationalrat. Und ich bin ein bisschen ein Nerd, was das Thema angeht: Ich habe mir die Live-Debatte im Fernsehen angeschaut, habe mitgeschrieben, was die einzelnen Parteien zu dieser Gesetzesänderung gesagt haben. Und habe mir den Gesetzestext natürlich auch mehrfach durchgelesen.
Mir war klar: Das wird was Großes für die Arbeitspsychologie! Oder vielmehr: Ich habe es gehofft.
Und dann am 1.1.2013 wurde das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz in Österreich geändert und ein halbes Jahr später wurde das Gesetz auch in Deutschland angepasst und auch dort wurden die psychischen Belastungen explizit reingenommen.
Und? Wurde es wirklich etwas Großes? Ja, das hat sich bewahrheitet in den letzten Jahren!
Ich habe vor ein paar Wochen einen Vortrag gehalten für die Arbeiterkammer Wien für ca. 130 Sicherheitsvertrauenspersonen (Sicherheitsbeauftragte) und habe dort erzählt:
- Wie läuft das jetzt ab nach 10 Jahren Gesetzesänderung?
- Was sind aktuell große Themen?
- Was wünsche ich mir für die nächsten 10 Jahre?
Ich wurde auf LinkedIn dann von einigen Leuten gebeten, dazu auch eine Podcast-Episode zu machen. Und dem komme ich mit dieser Episode nach.
Zum Vortrag:
Begonnen habe ich meinen Vortrag damit, dass ich eine Abfrage gemacht habe mit der Frage "Wann war Ihre letzte Evaluierung psychischer Belastungen?"
Herausgekommen ist: Bei 80 % der Anwesenden wurde das schon mal gemacht. Bei den meisten war es auch max. 5 Jahre her.
Vorne weg:
Ich habe natürlich keinen repräsentativen Eindruck von allen österreichischen Unternehmen. Ich habe aber schon sehr viele Firmen betreut: Ich habe sicher schon über 70 Evaluierungen selbst gemacht und hunderte weitere Online-Befragungen zu dem Thema begleitet.
Die Unternehmen, die ich betreue, die wollen das natürlich machen, diese geben Geld dafür aus, denn sonst würden sie sich keine externe Arbeitspsychologin leisten.
Was ich aber sagen kann zu meinen Anfragen:
Das sind in der Regel keine Erst-Evaluierungen. Es sind eher Wiederholungen. Die meisten Firmen, die bei mir anfragen, haben also schon Erfahrungen gemacht. Auch wenn es manchmal schon viele Jahre her ist und dann Ergebnisse auch in der Schublade verschwunden sind ohne dass große Maßnahmen gesetzt wurden.
Wirksamkeit von Maßnahmen prüfen
Im Österreichischen ArbeitnehmerInnenschutzgesetzt steht im § 4 (4) klar, dass wenn Firmen Maßnahmen festlegen, diese dann auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden müssen und die Evaluierung erforderlichenfalls dann auch angepasst werden muss.
Ich habe gemeinsam mit dem Zentral-Arbeitsinspektorat eine Handlungsanleitung geschrieben, wie man denn die festgelegten Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen kann. Einige Beispiele:
- Wiederholung von schriftlicher Befragung / ABS-Gruppe / Beobachtungsinterview mit Zusatzbeurteilung der Maßnahmenumsetzung/-wirkung
- Spezifische Kennzahlen vergleichen (Produktivität, Fehlerquote, Anzahl der Unterbrechungen, …)
- Extern moderierter Maßnahmenworkshop
- Begehung und stichprobenartige Gespräche durch Mitarbeiter:innen der Personalabteilung, SVP, Präventivfachkraft, Arbeitspsycholog:in
Wie oft muss es gemacht werden?
Dazu gibt es keinen festen Zeitrahmen im Österreichischen Gesetz. Sondern es ist wie bei allen anderen Evaluierungen:
- Nach Veränderungen
- Nach Anlassfällen
- Auf Aufforderung des Arbeitsinspektorats
Meine Empfehlungen, wann man sich die psychischen Belastungen noch einmal genauer anschauen sollte:
- Veränderungen wie Umstrukturierungen, Umstellung auf Alleinarbeitsplätze, Einführung von Schichtarbeit oder Homeoffice
- Neue Arbeitszeitmodelle (z.B. 4-Tage-Woche)
- Hohe Krankenstände / Burnout-Fälle bekannt
- Unfälle im Arbeitsbereich
- Häufigere Arbeitszeitüberschreitungen
- Psychisch besonders belastende Ereignisse (explizit in der Erläuterung erwähnt), wie Überfall, Übergriffe durch Patient:innen, Klient:innen. Und ich nehme hier die Pandemie gleich dazu, denn auch das ist ein psychisch besonders belastendes Ereignis.
- Veränderte Arbeitsbedingungen wie neue Führungskräfte
Aktuell große Themen in Betrieben
- Homeoffice
- Digitalisierung und künstliche Intelligenz (dazu gibt’s auch den EU-OSHA-Schwerpunkt - siehe Podcast-Episode 151)
- Arbeitsverdichtung über die letzten Jahrzehnte
- Umgang mit psychischen Beanspruchungen (ein großes Thema für Führungskräfte, v.a. auch seit der Pandemie)
Ich sehe auch immer genauere Überlegungen bei Kolleg:innen, wie man komplexe Organisationsstrukturen gut evaluieren kann hinsichtlich der psychischen Belastungen (z.B. bei großen Filialbetrieben, bei Matrixorganisationen, bei agilen Strukturen, ...). Es hat hier eine starke Weiterentwicklung in den letzten 10 Jahren stattgefunden.
In den ersten Jahren gab es ja viel Verunsicherung wegen der Gesetzesänderung und z.B. auch der Frage, wie man Arbeitsplätze einteilt. Auch hier habe ich gemeinsam mit dem ZAI eine Einteilungshilfe für Arbeitsplätze (also Tätigkeitsgruppen) geschrieben.
Meine Wünsche für die nächsten 10 Jahre
- Arbeitspsychologie in der Präventionszeit fest vorschreiben
- Präventionszeit auch arbeitspsychologisch nutzen abseits der Evaluierung
- Es gibt auch ein ZAI-Merkblatt, wie wir aus der Arbeitspsychologie heraus unterweisen können. Also welche Themen wir in Unterweisungen gießen können für Beschäftigte, aber auch Führungskräfte. Zum Beispiel: Einfluss von Führungsverhalten auf Gesundheit und sicheres Verhalten, Maßnahmen gegen arbeitsbedingte psychische Erkrankungen, Einfluss der Arbeitsumgebung auf die Konzentration, Kommunikationspsychologie, Stressfaktoren und Stressreaktionen, pathologische Phänomene (wie Mobbing, Burnout, Suchtverhalten, Gewalt, …).
- Viele Angebote für psychische Gesundheit nutzen: EAP-Programme, KI-Coachings als Einstieg, ...
- Noch mehr Austausch über gute Maßnahmen und Erfolgsgeschichten. Zum Beispiel habe ich 2019 das Buch "Aktiv führen" geschrieben. Da ist die Zielgruppe Führungskräfte, aber ich habe nur Beispiele reingenommen von Maßnahmen aus Evaluierungen, damit man praktisch sieht, was man alles machen kann. Das Buch gibt’s übrigens kostenlos zum Download für Akademie-Mitglieder in der Online-Bibliothek.
Weitere Empfehlungen:
- Podcast-Episode 151: "Live Prävention in Zeiten der Digitalisierung - Auftakt-Event zu EU-OSHA-Kampagne in Österreich"
- Podcast-Episode 98: "Nachhaltige GBu Psyche - 5 Tipps, damit sie gelingt!"
- Podcast-Episode 96: "6 Stolperfallen bei schriftlichen Befragungen, die Sie unbedingt vermeiden müssen"
- Podcast-Episode 76: "Wann Gruppenworkshops NICHT hilfreich sind"
- Podcast-Episode 58: "Stolperfallen bei Gruppendiskussions-Moderation"
- Podcast-Episode 56: "Psychische Gefährdungsbeurteilung - Ehrliche Antworten auf häufigste Fragen"
- Podcast-Episode 25: "Das STOP Prinzip gegen psychische Belastungen"
- Podcast-Episode 14: "So machen Sie psychische Belastungen zum Thema"
Und hier die angesprochenen Merkblätter und Handlungshilfen des Österreichischen Zentral-Arbeitsinspektorats zur Evaluierung psychischer Belastungen:
- Einteilungshilfe für Arbeitsplätze / Tätigkeitsgruppen
- Entscheidungshilfe für Messverfahren
- Handlungsanleitung zur Wirksamkeitskontrolle von Maßnahmen
- Informationsblatt zu Arbeitspsychologie und Unterweisung
Wenn Sie diesen Podcast lieben und sich im Auto, beim Kochen oder bei der Gartenarbeit gezielter weiterbilden wollen, dann empfehle ich Ihnen die Online-Akademie "Pioniere der Prävention". Wir haben alle unsere Kurse auch im Audioformat, natürlich auch alle Kurse rund um das Thema "Psychische Belastungen am Arbeitsplatz". Das heißt, als Mitglied bekommen sie Zugang zu allen Kursen in einem exklusiven Mitglieder-Podcast.
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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