Wann eigene Erfahrungen schädlich sein können in der Beratung
Womit schleift man ein Messer? Mit einem anderen Messer?
In der Episode 152 sprechen wir darüber, wann Ihre eigenen Erfahrungen schädlich sein können in der Beratung von Beschäftigten. Also wann es NICHT gut ist, wenn man selbst schon Ähnliches erlebt hat, z.B. einen Arbeitsunfall, ein Burnout oder auch so etwas wie Rückenschmerzen. Und Sie erfahren, was Sie tun müssen, um trotzdem hilfreich beraten zu können in der betrieblichen Prävention.
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Ich habe auf YouTube wieder mal einen Abnehm-Coach gesehen, der behauptet, dass er v.a. deshalb helfen kann, weil er selbst mal über 100 kg gewogen hat: "Ich war in deinen Schuhen, ich kenn das Gefühl".
Mich macht sowas rasend! Ich will niemandem zu nahe treten, aber für mich ist das ähnlich wie Burnout-PräventionstrainerInnen, die selbst mal im Burnout waren, aber sonst keine richtige psychosoziale Ausbildung haben und jetzt allen helfen wollen, indem sie die eigenen Erfahrungen auf alle anderen übertragen.
Andererseits:
- Nicht jede/r Arbeitschützer:in muss selbst einen Unfall erlebt haben.
- Nicht alle Ergonomie-Coaches müssen selbst einen Bandscheibenvorfall gehabt haben
- Nicht alle Gesund-Führen-TrainerInnen müssen selbst Führungskräfte gewesen sein und "schwierige Teammitglieder" gehabt haben.
Es kann sogar schädlich sein, weil …
- Wir waren NIE in den Schuhen des anderen. Wir stülpen unsere Erfahrungen über die der andere Person. Es war vielleicht ähnlich, aber NIE ident!
- Wir geben v.a. Ratschläge, die uns selbst geholfen haben. Aber das geht eventuell am Kern der anderen Person vorbei. Das ist eine sehr eingeschränkte Sichtweise auf das Themenfeld.
- Es fehlt uns damit auch eine gewisse professionelle Distanz. Man leidet mit, weil alte Emotionen hochkommen. Aber die entsprechen vielleicht gar nicht den Emotionen unseres Gegenübers.
- Vielleicht empfindet unser Gegenüber die Situation noch schlimmer und fühlt sich durch unsere Erfahrungen nicht ernst genug genommen.
- Oder unser Gegenüber empfindet die Situation gar nicht so negativ und fühlt sich durch unsere Ratschläge zu sehr in ein Eck gedrängt.
Nochmal ein ganz anderes Beispiel:
Ich habe ja vor knapp 2 Jahren ein Kind bekommen. Und in dieser Zeit bin ich von anderen Jung-Mamas ständig gefragt worden, wie denn unsere Geburt gelaufen ist. Und natürlich kommen dann die ganzen Geburtsgeschichten der anderen Jung-Mamas in den Gesprächen auf. Aber jede Geburt ist anders! Jeder Vergleich von "Ja, das war bei uns ähnlich" oder "Ja, genau so war das bei uns auch" geht dann doch immer irgendwie am Kern vorbei.
Jetzt denken Sie sich vielleicht:
"Naja, das ist schon was anderes. Ich würde ja dem verunfallten Mitarbeiter nicht von meinem Arbeitsunfall von vor 10 Jahren erzählen." Das ist schon mal gut!
Aber trotzdem können Ihre Erfahrungen, z.B. Ihr Arbeitsunfall vor 10 Jahren, Ihre Fähigkeit zum Zuhören beeinflussen. Sie vergleichen vielleicht unbewusst diesen aktuellen Arbeitsunfall und seine Auswirkungen mit dem alten, ähnlichen Unfall. Oder Sie denken zumindest im Gespräch immer wieder daran und sind dadurch abgelenkt.
Es gibt also mehrere Einflussfaktoren, wie vergangene Erfahrungen sich negativ auf Ihre Beratungsfähigkeit auswirken können.
Meine Einstellung:
Womit schleift man ein Messer? Mit einem anderen Messer? Nein, an einem Schleifstein! Sei ein Schleifstein und kein zweites Messer!
Ich habe im Alter von 25 Jahren begonnen Führungskräfte-Schulungen zu halten. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt selbst keine Erfahrung damit, MitarbeiterInnen zu führen. Ich habe aber selbst als Mitarbeiterin diverse Chefs erlebt und als Judotrainerin Gruppen geleitet. Und war eben auch ausgebildete Arbeitspsychologin und damit hatte ich viel Fachwissen.
Es hat trotzdem funktioniert, diese Führungskräfte gut durch die Seminare zu leiten! Denn die Kombination aus Fachwissen und didaktischem Wissen, gepaart mit dem Abstand, den ich zum Themengebiet hatte: Das hat gut funktioniert!
Denn ich habe schnell gemerkt, dass mein neutraler Fach-Input "von außen" und dass ich die Teilnehmenden untereinander viel austauschen lasse, eine super Kombination ist.
Es kommt nämlich hier auf andere Dinge an!
- Fachwissen anbieten wie auf einem Silbertablett
- Beratungskompetenzen
- Coaching-Kompetenzen
Eine schöne Analogie dazu:
Es gibt 2 Herangehensweisen in der Beratung:
Position des Wissens <=> Position des Nicht-Wissens
Haltung des Wissens = Tipps geben, großzügiges Teilen von Wissen & eigenen Erfahrungen
Aber Ratschläge sind nicht immer nützlich: Denn diese zeigen unsere subjektive Realität als Berater:in.
Noch schlimmer ist, wenn die Ratschläge auf eigenen Erfahrungen beruhen oder wenn eigene Erfahrungen den Blick trüben.
Haltung des Nicht-Wissens = Zuhören und unterstützen, die eigene Antwort zu finden
Ich bin ja eine Verfechterin der bedürfnisorientierten Prävention, also dass wir uns an den Bedürfnissen unseres Gegenübers orientieren. Aber: Orientieren Sie sich nicht an Ihren eigenen Bedürfnissen und auch nicht an Ihren Bedürfnissen von vor 10 Jahren! Versuchen Sie nicht, Ihre eigenen Bedürfnisse auf andere zu übertragen.
Das kann natürlich immer mal wieder durchrutschen. Denn wir sind Menschen, und Menschen glauben, dass alle anderen auch so ticken wie sie selbst.
Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir gut zuhören und gut beobachten. Und damit dann eben auch die Bedürfnisse vom Gegenüber erkennen. Und unsere Beratung darauf aufbauen.
Jedem ist etwas anderes wichtig: Moralisches Handeln, Anerkennung von anderen, die Familie, ... Wenn wir das schaffen, das rauszuhören und darauf aufzubauen, dann können wir wirklich etwas verändern im Gegenüber, in dessen Einstellung und dann auch im Verhalten des Gegenübers.
Also:
Wenn Sie ähnliche Erfahrungen wie Ihre Zielgruppe gemacht haben, dann strengen Sie sich doppelt an, dass Sie das nicht beeinflusst in Ihrer Beratungstätigkeit. Gehen Sie umso mehr in die Haltung des Nicht-Wissens und hören Sie genau zu, um die Bedürfnisse und die aktuelle Situation von Ihrem Gegenüber zu erfassen.
Wenn Sie bereit sind Ihre Überzeugungskraft zu steigern und bedürfnisorientiert vorzugehen bei Ihrer Präventionsarbeit, dann empfehle ich Ihnen den Lehrgang "Bedürfnisorientierte Prävention". Die Infos finden Sie hier: https://pionierederpraevention.com/bop/ . Der Intensiv-Lehrgang ist online von Jänner bis Juni 2024. Und es wird im Oktober einen 2-Tages-Kompaktkurs geben. Wieder online. Falls Sie das interessiert: Gerne bei mir melden!
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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