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HRweb: Psychische Belastungen | Evaluierung bei mehreren Standorten

Hat eine Organisation mehrere Standorte wird die Evaluierungsplanung häufig schwierig. Wie sollen die Gruppen eingeteilt werden? Welche Messverfahren bieten sich an? Dieser Artikel gibt praxisnahe Antworten!

In dieser Artikelserie „Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz“ (Link: https://www.hrweb.at/tag/evaluierung-psychischer-belastungen-am-arbeitsplatz/ ) haben wir bereits die verschiedensten Varianten zur Erhebung psychischer Belastungen und Weiterbearbeitung der Ergebnisse behandelt.

Jedoch stehen viele Organisationen vor einer zusätzlichen Herausforderung: die Mitarbeiter sind auf mehrere Standorte aufgeteilt! Welche Messverfahren können angewendet werden, ohne dass die Eigenheiten der Standorte untergehen? Wie soll man nun die Ergebnisse vergleichen? Woher wissen wir in der Steuerungsgruppe, welche Themen oder Maßnahmen wirklich für alle relevant sind?

Unterscheiden wir hier 3 verschiedene Szenarien:

  1. Klassischer Filialbetrieb (z.B. Handelskette)
  2. Mehrere Standorte mit eigenständigen Projekten (z.B. Bauunternehmen)
  3. Große Zentrale mit wenigen, kleinen Außenstellen (z.B. Produktionsunternehmen)

 

  1. Klassischer Filialbetrieb

Diese Organisationsform ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wertschöpfung an vielen Standorten passiert, welche gleich strukturiert sind und an denen es die gleichen Arbeitsplätze gibt. An den Standorten selbst sind unterschiedlich viele Mitarbeiter beschäftigt.

Mehrere Möglichkeiten

Es gibt nun 3 Varianten in so einem Fall die Evaluierung psychischer Belastungen zu organisieren:

  1. Detailliert und getrennt nach Standort und Aufgaben:
    1. Vorteile: Eine saubere Auswertung und detaillierte Ergebnisse sind möglich. Sie können nachher genau feststellen, welche Belastungen an den einzelnen Standorten und in den einzelnen Jobs herrschen. Diese Vorgehensweise wird garantiert von jedem Arbeitsinspektorat akzeptiert. Am Ende haben Sie keinen Überblick und zu viele Dokumente? Eine übergeordnete Auswertung kann dann ergänzend gemacht werden. Wie man eine Klausur moderiert um später zu gemeinsamen, standortübergreifenden Lösungen zu kommen, können Sie hier nachlesen (Link: http://www.apjakl.at/index.php/blog/item/113-2017-02-open-space ). Eine professionelle Begleitung mit Analyse der Meta-Themen wird stark empfohlen!
    2. Nachteile: Es entsteht ein erhöhter Aufwand (zeitlich und ggf. finanziell). Es kann sein, dass Gruppendiskussionen oder schriftliche Befragungen nicht möglich sind aufgrund von zu kleinen Tätigkeitsgruppen (Bespiel: 1 Filialleitung in der Handelskette).
  1. Standortbezogen
    1. Vorteile: Die Gruppen sind nun größer und so können eventuell auch Messverfahren eingesetzt werden, die vorher nicht möglich waren (Beispiel: Schriftliche Befragung einer gesamten Ambulanz). Die Erhebung mit moderierten Gruppendiskussionen ist organisatorisch gut möglich, weil alle an einem Standort arbeiten.
    2. Nachteile: Es werden alle Tätigkeiten, Jobs und Rollen eines Standorts in einen Topf geworfen. Das kann problematisch sein, wenn diese sehr unterschiedlich sind (Beispiel: Ärzte und Verwaltungsangestellte einer Ambulanz). Und es ist sicher problematisch, wenn unterschiedliche Hierarchieebenen in einer Gruppendiskussion sich offen äußern sollen zum Sozialklima (Beispiel: Filialleitung und deren Verkaufsmitarbeiter). Wenn eine schriftliche Befragung als Methode gewählt wird, können die Einschätzungen der einzelnen Berufsgruppen später nicht mehr voneinander getrennt betrachtet werden. Ob diese Vorgehensweise vom Arbeitsinspektorat akzeptiert wird, sollte vorab geklärt werden.
  1. Aufgabenbezogen
    1. Vorteile: Die Gruppen sind nun größer und so können eventuell auch Messverfahren eingesetzt werden, die vorher nicht möglich waren (Beispiel: Schriftliche Befragung aller Verkaufsmitarbeiter).
    2. Nachteile: Beobachtungsinterviews sind hier inhaltlich nicht sinnvoll, weil von einem Interview am Standort A nicht auf die Arbeitsbedingungen am Standort B geschlossen werden kann. Auch bei schriftlichen Befragungen können keine spezifischen Aussagen mehr über die einzelnen Standorte und deren Umgebungsbedingungen getroffen werden. Auch das Führungsverhalten (z.B. einer Filialleitung) kann so nicht bewertet werden. Moderierte Gruppendiskussionen sind nur schwer zu organisieren, weil hier Fahrtzeiten anfallen. Ob diese Vorgehensweise vom Arbeitsinspektorat akzeptiert wird, ist stark anzuzweifeln.

Bedenken Sie, dass auch immer eine Mischung der Vorgehensweise möglich ist. Es kann empfehlenswert sein, die MitarbeiterInnen sehr spezifisch (Variante 1) zu erfassen und die Führungskräfte (Beispiel: Filialleitungen oder leitende Therapeuten) zusammenzufassen z.B. für eine Gruppendiskussion.

Eine Organisation mit 23 Bezirksstellen in Wien stellte einerseits die standortspezifische Erfassung durch Beobachtungsinterviews sicher und erhob andererseits die tätigkeitsspezifischen Arbeitsbedingungen durch Gruppendiskussionen sicher, an denen max. 1 Person pro Standort teilnehmen durfte.

Auch eine Mischung der Messverfahren innerhalb des Unternehmens ist denkbar und oft sinnvoll. So kann den unterschiedlichen Gruppengrößen Rechnung getragen werden.

 

  1. Mehrere Standorte mit eigenständigen Projekten

In dieser Organisationsform kommt beispielsweise im Bauwesen oder bei Beratungsfirmen vor. Jeder Standort ist unterschiedlich organisiert und umfasst zum Teil unterschiedliche Berufsgruppen.

 

Wie sollte man die Evaluierung psychischer Belastungen in einem solchen Fall angehen?

Nachdem wir sowohl standort-spezifische Arbeitsbedingungen haben als auch stark unterschiedliche Aufgabenbereiche an den jeweiligen Standorten empfiehlt sich eine getrennte Erhebung.

In diesem Fall ist es sinnvoll auf jeden Fall die Standorte getrennt zu betrachten. Wie weiter die jeweiligen Mitarbeiter dann in eine Gruppe zusammengefasst werden oder voneinander getrennt werden, hängt von 3 Faktoren ab:

  • Wie unterschiedlich sind die Aufgaben der Mitarbeiter?
  • Welche Hierarchieunterschiede herrschen?
  • Welches Messverfahren wird angewandt?

Bei sehr unterschiedlichen Aufgaben oder bei strikten Hierarchien ist eine getrennte Analyse sinnvoll. Bei eher ähnlichen Aufgaben unter den Mitarbeitern einer Hierarchiestufe kann eine gemeinsame Gruppendiskussion angedacht werden, weil hier auf Spezifika durch die Moderation eingegangen werden kann. Bei einer schriftlichen Befragung ist dies nicht möglich.

Überlegen Sie sich zusätzlich, ob die Leiter der einzelnen Standorte ähnliche Aufgaben erledigen und ob diese selbst die gleiche Führungskraft haben. Dann können Sie diese Standortleiter gemeinsam in eine Tätigkeitsgruppe geben.

  1. Große Zentrale mit wenigen, kleinen Außenstellen

In vielen Produktionsunternehmen gibt es eine große Zentrale (mit Produktion und Verwaltung), welche durch kleinere Außenstellen (mit spezialisierter Produktion oder Verkaufsstätten) ergänzt wird.

Wichtig ist in diesem Fall, das die Außenstellen nicht mit der Zentrale vermischt werden. Selbst wenn überall Sales-Mitarbeiter tätig sind, herrschen in den Außenstellen andere Arbeitsbedingungen. Erfahrungsgemäß betrachten sich die Außenstellen kulturell als eigenständig und leben eine andere Organisationskultur auch aufgrund der lokalen Führung.

Es empfiehlt sich die Außenstellen separat zu evaluieren. In wie fern die Mitarbeiter der Außenstellen gemeinsam oder getrennt voneinander evaluiert werden hängt von den bereits genannten Faktoren ab: Unterschiedlichkeit der Aufgaben, Hierarchiestruktur und eingesetztes Messverfahren.

 

Fazit

Überlegen Sie sich vorab, in welche Form später die Ergebnisse vorliegen werden (statistische Auswertung, Beschreibung durch Experten, Zitate aus Workshops, …). Haben Sie dann alle Informationen für eine gute Maßnahmenplanung? Wenn Sie beim Einteilen der Tätigkeitsgruppen Fehler machen, kann es sein, dass Sie später keine Möglichkeit mehr haben, diese zu korrigieren! Nehmen Sie sich daher für diesen Schritt genug Zeit und holen Sie sich Feedback von den internen Stakeholdern (Personalabteilung, Betriebsrat, Führungskräfte).

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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