karriere.at: Ich bin ein Hochstapler!
Du hast eine Prüfung hervorragend bestanden – findest du, dass es verdient war? Wenn ja: Gratulation, du leidest sicher nicht am psychologischen Phänomen namens „Impostor-Syndrom“, zu Deutsch „Hochstapler-Syndrom“. Was es heißt, sich trotz eigens erkämpfter Erfolge als Betrüger zu fühlen, haben wir mit einer Arbeitspsychologin besprochen.
„Die Idee, die Sie da heute im Team Meeting hatten, war wirklich hervorragend. Was halten Sie davon, diese auszuführen und der Chefetage vorzutragen?“ Sehr nett von der Teamleiterin, das zu sagen. Aber eigentlich war das ja nur ein spontaner Einfall und wirklich Ahnung davon hat Birgit ja nicht. Lieber absagen, nicht dass die Chefs sonst dahinterkommen, dass das nur geblufft war.
Birgit fühlt sich als Schwindlerin. Völlig zu Unrecht. Psychologen nennen das „Impostor-“ oder auch „Hochstapler-Syndrom“. Betroffene Personen glauben nicht daran, dass Leistungen und Erfolge wirklich auf die eigenen Fähigkeiten zurückgehen. Von anderen als gut Befundenes führen sie auf Beziehungen, Überschätzung oder Glück zurück. Misserfolge schreiben sich solche „Hochstapler“ dann aber schon auf die eigenen Fahnen. Selbstzweifel, das Gefühl von Betrug und die Angst enttarnt zu werden begleiten diese Menschen – trotz harter Arbeit und Talent.
„Hochstapler“ – Persönlichkeitsmerkmal oder antrainiert?
Das „Problem“ fängt oft in der Schule an und zieht sich bis ins Berufsleben. Es ist vorwiegend weiblich und bezieht sich immer auf Leistungssituationen. Paradoxerweise betrifft es oft Menschen, in deren Leben meist alles glatt gelaufen ist und deren Leistungen nicht nur gut, sondern sehr gut sind. „Affirmative Action“ oder auch „positive Diskriminierung“ genannt, kann zu solch einer Einstellung beitragen. Ein Beispiel: Eine talentierte Frau bekommt eine Führungsposition nur, weil sie unter allen (mehr oder weniger geeigneten) Bewerbern die einzige weibliche Person ist. So eine „Quotenfrau“ hat oftmals neben Argwohn aus dem Team auch mit dem Hochstapler-Syndrom zu kämpfen.
Zwar kann so eine Art von Minderwertigkeitskomplex auch dazu anspornen, immer höher, schneller, weiter zu kommen, aber für die Psyche und das eigene Selbstwertgefühl kann das auf Dauer schädlich sein. Gesunder Stolz und Selbstbewusstsein können helfen, genau wie echte Vorbilder, z.B. von erfolgreichen Frauen in Führungspositionen, die ihre tollen Leistungen auch stolz nach außen tragen.
Wir haben bei der Arbeitspsychologin Veronika Jakl nachgefragt, inwiefern „Impostor“ in ihrem Alltag und ihrer Karriere eingeschränkt werden und was man dagegen konkret unternehmen kann.
Warum fühlen sich manche Menschen als Betrüger oder Bluffer, nur weil ihnen etwas gelingt oder sie Erfolg haben?
Veronika Jakl: Jeder Mensch beurteilt laufend, wie ein Ergebnis oder ein Erfolg zustande kommt. Man „attribuiert“ entweder intern (Ich hab es geleistet. Das war mein Verdienst.) oder extern (Das hätte jeder in der Situation geschafft. / Das war Zufall. / Ich hatte Glück.). Es gibt dann Menschen, die immer glauben, dass Glück oder Anstrengung „schuld“ sind an ihrem eigenen Erfolg, auch wenn sie tatsächlich selbst die Leistung erbracht haben. (Das hab ich nur geschafft, weil ich mich dann sehr angestrengt hab, nicht weil ich so gut bin. bzw. Das war reines Glück.) Häufig sind das Menschen, die perfektionistisch überall die Besten sein wollen und das auch noch ohne sich groß anzustrengen. Sie fühlen sich sogar dann als Versager, wenn sie ihr Ziel nur mit viel Arbeit erreichen. Sie haben Angst, sowohl vor Erfolg als auch vor Misserfolg. Und sie können Lob nicht annehmen. Wenn man sie lobt, dann leugnen sie ihre eigenen Fähigkeiten. (Nein, ich bin gar nicht so gut.)
Es gibt verschiedene Gründe, die dahinter stecken können:
- Es kann sein, dass es schon in der eigenen Familie nicht üblich war, Gefühle offen zu leben.
- Auch Eltern, die ihre Kinder übermäßig beschützen, können den Grundstein für „Impostor“ legen. Personen, die als Kinder keine Misserfolge erleben durften, können damit natürlich auch im Erwachsenenalter schlechter umgehen.
- Eltern, die „Impostor“ großziehen, haben selbst die Grundeinstellung, dass man hohe Ziele erreichen muss und das ohne große Anstrengung. Das übernehmen natürlich auch die Kinder.
Was heißt das für die eigene Karriere? Können solche Menschen niemals ernsthaft zufrieden mit ihren Errungenschaften sein?
Veronika Jakl: Ja, diese Leute tun sich deutlich schwerer damit, Erfolge zu genießen und sie zu feiern. Sie werden immer das Gefühl haben, dass sie nicht genug getan haben oder dass man ihnen „auf die Schliche“ kommen wird, dass sie „eigentlich gar nicht so toll sind“. Es gibt einen wissenschaftlich gut erforschten Zusammenhang zwischen Depressivität und dem Impostor-Phänomen. Auch gibt es einen Zusammenhang mit Ängstlichkeit und geringem Selbstwertgefühl.
Wenn man die eigenen Kompetenzen nicht wertschätzen kann, ist es auch schwierig, sich entsprechend vor anderen zu positionieren. Man kann annehmen, dass „Impostor“ sich weniger auf höhere Positionen oder für schwierige Aufgaben bewerben, weil sie das Gefühl hätten, es nicht zu verdienen. Wenn beispielsweise ein Betroffener doch die Position Abteilungsleitung bekommt, fühlt er sich nicht so, wie er sich einen Abteilungsleiter vorstellen würde. Nachdem man diese Gefühle aber meist nicht offen zeigen kann, werden sie überspielt und dadurch noch stärker. Man hat noch mehr Angst „entlarvt“ zu werden.
Der Claim: Glaubt an euch!
Was kann man als Betroffener dagegen tun?
Veronika Jakl: Reflektieren Sie: Wann hatten Sie das letzte Mal Erfolg? Was waren die Gründe? Machen Sie es sich bewusst, wenn Sie eigentlich immer denken „Das war Zufall. Das war nur, weil ich mich richtig angestrengt habe und nicht weil ich so super bin.“ Wie ist man denn in Ihrer Familie mit schulischen Erfolgen oder Misserfolgen umgegangen? Mussten Sie schon immer hohe Ansprüche erfüllen? Meistens ist diese Denkweise schlimmer, wenn man das Gefühl hat, dass dieser Erfolg untypisch ist für das eigene Geschlecht, das eigene Umfeld oder die eigene Familie. Wenn ich beispielsweise als Erste meiner Familie und meines Freundeskreises eine Führungsposition erreiche, dann werde ich mir noch weniger denken, dass ich es verdient habe und ich die Kompetenzen dazu habe.
Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte?
Veronika Jakl: Wenn Sie mal wieder die Einstellung haben, dass Sie einen Erfolg nicht verdient haben und Angst haben „aufzufliegen“, stellen Sie sich folgende Frage: „Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte?“. Das ist eine der Kernfragen von Sheryl Sandberg (Vize-Chefin, Facebook) in ihrem Buch „Lean In. Frauen und der Wille zum Erfolg“, wo sie vor allem Frauen Mut machen will, auszubrechen aus einer ängstlichen Grundhaltung.
Was kann man als Führungskraft gegenüber einem betroffenen Angestellten tun?
Veronika Jakl: Ein erster wichtiger Schritt ist das Erkennen einer solchen Einstellung bei seinen Mitarbeitern. Haben Sie Höchstleister, die Lob nicht gut annehmen können? Wenn Sie einem „Impostor“ helfen wollen, agieren Sie als Mentor. Fördern Sie solche Personen besonders. Wertschätzen Sie deren Leistungen und sprechen Sie klar aus, dass Sie an ihre Fähigkeiten glauben. Loben Sie die Erfolge öffentlich. Motivieren Sie diese Tiefstapler, sich auch für schwierigere Projekte oder eine höhere Position zu bewerben. Von allein kann ein Betroffener den Teufelskreis nicht durchbrechen.
Good to know
Der Gegensatz zum Impostor-Syndrom ist übrigens der Dunning-Kruger-Effekt: Mehr oder weniger inkompetente Personen, die bei meist großem Selbstvertrauen das eigene Können gerne überschätzen und die Kompetenz anderer unterschätzen. Dagegen wünscht man sich als Kollegen eher einen „Hochstapler“ ;-)
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.