So wirkt Digitalisierung auf Leistungsfähigkeit - Prof. Oliver Sträter im Interview
Es betrifft uns ALLE heutzutage! Die Digitalisierung. Doch die Frage ist wie wirkt sich die Digitalisierung eigentlich auf unsere Leistungsfähigkeit aus?
In diesem Episode hatte ich das Vergnügen, Professor Oliver Sträter von der Universität Kassel zu interviewen.
Unser Thema: Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die menschliche Psyche.
Die fortschreitende Digitalisierung beeinflusst nicht nur unsere Arbeitswelt, sondern auch unsere psychische Gesundheit. In diesem Interview erhalten Sie wertvolle Einblicke und Empfehlungen von Professor Sträter, der Experte auf dem Gebiet der Arbeits- und Organisationspsychologie ist.
Die Bedeutung der kognitiven Leistungsfähigkeit:
Die kognitive Leistungsfähigkeit spielt eine zentrale Rolle, wenn es um die Veränderungen durch die Digitalisierung geht. Doch was genau bedeutet kognitive Leistungsfähigkeit? Vereinfacht ausgedrückt bezieht sich dies auf unsere Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten und effektiv damit umzugehen.
Der Interviewpartner: Professor Oliver Sträter:
Professor Sträter leitet das Fachgebiet Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Kassel. Er ist ein renommierter Experte auf dem Gebiet der psychologischen Auswirkungen der Digitalisierung. Auf dem Forum Prävention 2023 hielt er einen Vortrag mit dem Titel "Auswirkungen von Digitalisierung und damit einhergehende Veränderungen der Arbeitsprozesse auf die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen". In diesem Interview teilt er sein Fachwissen und seine Erkenntnisse mit uns.
Die Herausforderungen der Digitalisierung
Die Digitalisierung findet auf nahezu allen Arbeitsplätzen statt und betrifft unterschiedliche Bereiche. Egal ob in Büroarbeitsplätzen, Leitstellen oder sogar im Transportwesen, digitale Prozesse sind allgegenwärtig. Sie können uns dabei helfen, Arbeitsabläufe zu vereinfachen und effizienter zu gestalten. Doch gleichzeitig können sie auch zu Überforderung und Komplexitätssteigerung führen. Das permanente Umlernen und die Anpassung an neue Systeme können ermüdend sein und Fehler verursachen. Es ist daher wichtig, die psychischen Auswirkungen der Digitalisierung zu verstehen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Das Interview - Einblicke von Prof. Sträter:
Im Interview mit Oliver Sträter erfahren wir mehr über die konkreten Auswirkungen der Digitalisierung auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Er erläutert, wie sich die Veränderungen in den Arbeitsprozessen und der Einsatz digitaler Arbeitsmittel auf die Beschäftigten auswirken. Zudem gibt er Empfehlungen, wie Unternehmen Digitalisierungsprojekte erfolgreich umsetzen können
Die Messung der kognitiven Leistungsfähigkeit: Beispiele und Erkenntnisse
Im Interview nennt Professor Sträter konkrete Beispiele, wie man veränderte kognitive Leistungsfähigkeit auch mithilfe objektiver Daten messen kann. Ein anschauliches Beispiel wird aus dem Bereich Montage und Fertigung gegeben.
In den Datenanalysen wurden beispielsweise Pupillen-Durchmesser als Maß für die psychische Belastung verwendet. Anhand der graphischen Auswertungen konnte deutlich gezeigt werden, dass ab einer bestimmten Zeit, in diesem Fall 17 Minuten, eine monotone Belastung einsetzt. Diese Monotonie äußert sich unter anderem darin, dass der Pupillendurchmesser zu variieren beginnt. Durch solche objektiven Daten lässt sich also die psychische Belastung an bestimmten Arbeitsplätzen nachweisen und messen.
Prof. Oliver Sträter betont die Wichtigkeit der Kompatibilität, um die Auswirkungen der Digitalisierung zu bewerten. Dieser methodische Ansatz basiert auf einem alten Konzept, das auch physiologische Entsprechungen hat. Unser kognitives System ist komplex aufgebaut, und die Interferenz zwischen den Hemisphären beeinflusst unser räumlich-zeitliches Orientierungsmuster und die Speicherung von Gedächtnisinhalten. Hier zeigt sich die Relevanz der Kompatibilität, da Störungen in den Codierungen die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können.
Die Bedeutung der Erkenntnisse:
Die vorgestellten Beispiele und Erkenntnisse verdeutlichen, dass die Auswirkungen der Digitalisierung auf die kognitive Leistungsfähigkeit nicht nur subjektiv wahrgenommen werden, sondern auch objektiv messbar sind. Die Veränderungen in den Arbeitsprozessen und der Einsatz digitaler Arbeitsmittel können sowohl positive Effekte, wie eine erleichterte Informationsverarbeitung, als auch negative Auswirkungen, wie Überforderung und Ermüdung, mit sich bringen.
Die Digitalisierung prägt zunehmend unsere Arbeitswelt und hat auch Auswirkungen auf unsere Psyche. Die kognitive Leistungsfähigkeit spielt dabei eine zentrale Rolle. In diesem Interview bekommen Sie wertvolle Einblicke in die psychologischen Auswirkungen der Digitalisierung. Es wird deutlich, dass die Messung und Bewertung der kognitiven Leistungsfähigkeit entscheidend ist, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigten besser zu verstehen und angemessene Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit und Produktivität zu ergreifen.
Die Digitalisierung birgt Chancen, aber auch Herausforderungen. Unternehmen und Führungskräfte sind gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die positiven Effekte der Digitalisierung zu nutzen und gleichzeitig die negativen Auswirkungen zu minimieren.
Die Herausforderungen bei der Digitalisierung aus psychologischer Sicht
Es werden auch die Problematiken im Zusammenhang mit digitalen Lösungen und digitalen Prozessen angesprochen. Neben den kognitiven Aspekten spielt hierbei auch die emotionale Komponente eine wichtige Rolle. Oftmals führt die Einführung neuer Software oder technischer Systeme zu Verweigerungshaltungen und Widerstand seitens der Mitarbeitenden.
Ein Beispiel, das jeder kennt
Ein häufiges Beispiel ist die Umstellung von einer gewohnten Tastatur auf eine andere Variante. Die Menschen haben sich an die gewohnte Tastatur gewöhnt und können mit der neuen nicht umgehen. Dies kann dazu führen, dass betriebliche Prozesse ins Stocken geraten. In einigen Fällen wurden sogar Unternehmen innerhalb von kurzer Zeit in finanzielle Schwierigkeiten gebracht, weil die Mitarbeitenden mit den neuen Abrechnungssystemen nicht zurechtkamen. In solchen Situationen musste auf altbewährte Methoden wie Papier und Bleistift zurückgegriffen werden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Diese Erfahrungen verdeutlichen die Abneigung und Frustration, die durch schlecht durchdachte digitale Lösungen entstehen können.
Ein weiteres Problem sind unstimmige Arbeitsprozesse. Wenn beispielsweise für verschiedene Prozesse unterschiedliche Systeme und Tastaturen verwendet werden müssen, entsteht eine Unübersichtlichkeit und Inkonsistenz, die zu Fehlern und Frustration führen kann. Auch die unterschiedliche Anordnung von Tasten auf Telefonen im Vergleich zu Computertastaturen kann zu Problemen führen, wenn Mitarbeitende gleichzeitig Eingabeaufgaben erledigen und telefonieren müssen.
Diese Beispiele zeigen, dass die Gestaltung von digitalen Lösungen und Prozessen sorgfältig durchdacht werden muss. Es ist entscheidend, die Bedürfnisse und Arbeitsabläufe der Mitarbeitenden zu berücksichtigen, um eine reibungslose und effiziente Umstellung auf digitale Arbeitsweisen zu gewährleisten. Frustration und Verweigerungshaltungen entstehen oft nicht aus bösem Willen, sondern resultieren aus schlechtem Design und fehlender Nutzerorientierung.
Es wird deutlich, dass die psychologischen Aspekte bei der Digitalisierung eine große Rolle spielen. Es ist wichtig, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen und die Auswirkungen auf seine kognitive Leistungsfähigkeit, emotionale Befindlichkeit und Arbeitsprozesse zu beachten. Nur durch eine ganzheitliche Betrachtung und eine enge Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Psychologie, Technologie und Arbeitsorganisation können digitale Lösungen geschaffen werden, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden gerecht werden und zu einer positiven Arbeitsumgebung beitragen.
Die Rolle von Datenbrillen bei der Digitalisierung von Arbeitsprozessen
Im weiteren Verlauf des Interviews werden auch Datenbrillen als eine interessante Variante für die Digitalisierung von Arbeitsprozessen diskutiert. Datenbrillen können beispielsweise für das Einüben neuer Arbeitsabläufe oder Schulungen eingesetzt werden.
Doch wie sieht Professor Oliver Sträter die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen dieser Technologie aus psychologischer Sicht?
Zunächst betonte er, dass der Tragekomfort eine entscheidende Rolle spielt. Datenbrillen sind oft nur für eine begrenzte Zeit bequem zu tragen, sodass längere Schulungen oder Einübungsphasen problematisch werden können. Zudem sind Datenbrillen individuelle Systeme, die sich nicht immer für Gruppeninteraktionen eignen. Wenn eine spezifische Unterweisung oder Anleitung für eine einzelne Person erforderlich ist, können Datenbrillen effektiv sein.
Allerdings verlieren sie an Zielfühigkeit, wenn es um die Gruppendynamik und nonverbale Kommunikation geht, die in bestimmten Arbeitsprozessen von großer Bedeutung ist.
Ein weiteres Thema, das diskutiert wurde, war die Schwierigkeit, Entscheidungen in Gruppen zu simulieren, wenn nur eine Person eine Augmented-Reality-Umgebung erlebt, während die anderen Teilnehmenden physisch anwesend sind. In solchen Fällen kann die Interaktion und Zusammenarbeit eingeschränkt sein, was die Effektivität der Simulation beeinträchtigt.
Professor Sträter merkte an, dass Datenbrillen sich gut für das Erlernen technischer Sachverhalte oder das Verinnerlichen von Regeln und Verfahren eignen. Beispielsweise können Sicherheitsvorschriften in einer virtuellen Umgebung vermittelt werden. Jedoch sind sie weniger geeignet, wenn es um die Koordination und Organisation von Sicherheitsmaßnahmen oder Notfallplänen geht, bei denen menschliche Interaktion und Kommunikation eine zentrale Rolle spielen.
Es wurden Alternativen zu Datenbrillen diskutiert, wie zum Beispiel virtuelle Räume oder Teamwände. Dabei handelt es sich um virtuelle Umgebungen, in denen Gruppen gemeinsam komplexe Szenarien durchspielen und Ergebnisse teilen können. Dieser Ansatz hat bereits in verschiedenen Bereichen, wie beispielsweise bei der Deutschen Bahn, positive Resonanz erhalten und wird dort für Schulungen und Weiterbildungsformen genutzt.
Abschließend gab Professor Sträter einige Tipps für Präventionsexperten, die frühzeitig in die Planung solcher Prozesse einbezogen werden möchten. Es ist wichtig, Überzeugungsarbeit zu leisten und den Mehrwert von psychologischer Expertise in den Planungsphasen zu verdeutlichen. Er verwies auf ein Beispiel aus Berlin, wo aufgrund fehlender Berücksichtigung von Gefährdungsaspekten im Brandschutz nachträgliche kostspielige Anpassungen und Umbauten erforderlich wurden. Durch die frühe Einbindung von Arbeitspsychologen könnten solche Probleme vermieden werden. Eine sorgfältige Planung spart letztendlich Zeit und Kosten, da noch keine Verpflichtungen eingegangen oder teure Anschaffungen getätigt wurden.
Es wird deutlich, dass die Digitalisierung von Arbeitsprozessen nicht nur technische, sondern auch psychologische Aspekte berücksichtigen muss. Die menschliche Interaktion, nonverbale Kommunikation und Gruppendynamik spielen eine wesentliche Rolle und dürfen nicht vernachlässigt werden. Durch eine ganzheitliche Betrachtung und frühzeitige Einbindung von Experten können digitale Lösungen geschaffen werden, die den Bedürfnissen der Mitarbeiter gerecht werden und zu einer produktiven und gesunden Arbeitsumgebung führen.
Die Rolle des Screening Tools bei der Digitalisierung von Arbeitsprozessen
Wir haben dann auch über ein Screening Tool gesprochen, das von Professor Oliver Sträter entwickelt wurde, um den frühzeitigen Planungsprozess bei der Einführung digitaler Technologien zu unterstützen. Das Tool zielt darauf ab, verschiedene Faktoren zu bewerten und eine bessere Entscheidungsgrundlage für die Planung und Umsetzung von digitalen Systemen zu schaffen.
Es gibt vier große Hauptthemenbereiche, die im Screening bewertet werden: das Arbeitssystem, die Anwendungsebene, das betriebliche Management und die Organisationsebene. Jeder Bereich besteht aus mehreren Unterkategorien, für die spezifische Fragen gestellt werden. Diese Fragen können beispielsweise in Workshops diskutiert und beantwortet werden. Einige Beispiele für diese Fragen sind:
- Ist das Assistenzsystem ausreichend kompatibel zu anderen Systemen im gesamten Arbeitssystem?
- Wie ist der Tragekomfort des geplanten Assistenzsystems?
- Welche Einflüsse entstehen auf die übliche Kommunikation durch das Assistenzsystem?
Das Screening Tool kann kostenlos von der Website der Universität Kassel heruntergeladen werden. Es bietet eine effektive Möglichkeit, den betrieblichen Kontext und die technologischen Ideen frühzeitig zusammenzubringen. Durch das frühzeitige Erkennen von Defiziten und Hürden können die Konzeptionierung und Umsetzung von Produkten oder Verfahren optimiert werden. Es ist eine wertvolle Unterstützung im Planungsprozess und besonders empfehlenswert für Organisationen, die im Bereich der Arbeitsmedizin und des Arbeitsschutzes tätig sind.
Abschließend gab Prof. Sträter einige Empfehlungen für den Einsatz des Screening Tools. Er betonte die Bedeutung der Moderation von Workshops, um den betrieblichen Kontext und die Technologie effektiv miteinander zu verbinden. Das Tool ermöglicht es, frühzeitig Defizite und unerwartete Hürden zu erkennen und in die Konzeptionierung einzubeziehen. Es ist äußerst effektiv, um einen umfassenden Planungsprozess zu durchlaufen. Professor Sträter betonte auch, wie wichtig es ist, frühzeitig in den Planungsprozess eingebunden zu werden, da die ersten 20 % eines Projektes oft 80 % der Ressourcen binden. Eine frühzeitige Einbindung von Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie kann dazu beitragen, Probleme zu vermeiden und die Einführung solcher Veränderungen in Unternehmen erfolgreich zu gestalten.
Das Screening Tool bietet eine praktische Methode, um digitale Transformationsprozesse zu bewerten und erfolgreich umzusetzen. Es ermöglicht Unternehmen, die Auswirkungen neuer Technologien frühzeitig zu erkennen und ihre Planung und Implementierung entsprechend anzupassen. Indem alle relevanten Akteure in den Planungsprozess eingebunden werden, können Unternehmen sicherstellen, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt werden und die Einführung von digitalen Lösungen reibungslos erfolgt. Es ist ein wertvolles Instrument, um den Erfolg digitaler Transformationsprojekte zu maximieren und gleichzeitig die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu fördern.
Insgesamt ist zu sagen, dass die Digitalisierung von Arbeitsprozessen nicht nur technische, sondern auch organisatorische, psychologische und soziale Aspekte berücksichtigen muss. Die frühzeitige Einbindung aller relevanten Stakeholder sowie die Nutzung von Screening Tools wie dem von Professor Sträter entwickelten bieten einen vielversprechenden Ansatz, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen und die Vorteile der neuen Technologien optimal zu nutzen.
Links:
- Website des Uni-Fachgebiets von Prof. Sträter: www.designing-better-work.de
- Kostenloses Screeningtool zur Planung von Digitalisierung: www.cahr.de/downloads/downloads.htm
Veronika Jakl
Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".
Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren.
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.
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