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Sicherheitsingenieur: Beratungskompetenz im Arbeitsschutz

Welche Strategien sind wirksam? Wie kann ich selbstsicher auftreten? Wie kann ich Führungskräfte von Arbeitssicherheit überzeugen? 

Ein Gastartikel von Veronika Jakl für die Zeitschrift "Sicherheitsingenieur", erschienen am 14.05.2021

Denn: Was nützt das größte Fachwissen, wenn mir niemand zuhört? Was nützt die beste Qualifikation, wenn ich niemanden überzeugen kann? Und ganz neu: Was muss ich bei der virtuellen Beratung beachten?

Sowohl im Rahmenmodell der Institution of Occupational Safety and Health (IOSH) als auch beim Kompetenzprofil für Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Sicherheitsingenieur, Ausgabe 04/2020, Seite 27) wird Kommunikation und der Umgang mit anderen als zentrale Kompetenz hervorgehoben.

Warum gehen Gespräche mit Führungskräften schief?

Wenn betriebliche PräventionsexpertInnen mit Führungskräften über Mängel oder notwendige Maßnahmen sprechen, dann löst das beim Gegenüber viele Emotionen aus. Selbst wenn es möglichst neutral formuliert ist, sehen manche Vorgesetzte dieses Feedback als Kritik an ihnen an. Und damit haben sie nicht ganz Unrecht. Denn heutige Mängel entstanden unter ihrer Aufsicht, wurden hervorgerufen durch ihr Führungsverhalten oder trotz ihrer Bemühungen. Damit werden frühere Entscheidungen, Prioritäten oder vergangenes Verhalten direkt oder indirekt angesprochen.

Und dadurch stehen Führungskräfte stark im Fokus, was vielen unangenehm ist. Verschiedene Leute reagieren darauf unterschiedlich und nicht immer positiv. Manche Führungskräfte versuchen durch "Vorabgespräche" unter vier Augen die Erhebungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Wenn man dann später die Ergebnisse nachbesprechen will, kann es sein, dass die Führungskräfte "leider gerade gar keine Zeit" haben dafür und sich so versuchen der Kritik zu entziehen.

Findet dann ein Gespräch statt über die Gefährdungen beziehungsweise Risiken, dann gibt es Führungskräfte, die sehr defensiv sind, schweigen und sich auf keine Diskussion einlassen. Sie meinen, dass sie das bereits alles wüssten, es aber nicht ändern können, und daher die Diskussion uninteressant wäre. Andere Personen wiederum werfen mit Gegenargumenten um sich und verteidigen aktiv ihre bisherigen Vorgehensweisen. Und dann gibt es die sehr unangenehme Gruppe von Menschen, die die Erhebungsinstrumente, Vorgehensweisen oder die persönliche Kompetenz der ArbeitsschützerInnen anzweifeln.

Viele PräventionsexpertInnen tun sich schwer damit, auf diese verschiedenen GesprächspartnerInnen jeweils angemessen zu reagieren. Denn man hat ja selbst auch Gefühle, eine Tagesverfassung und einen bevorzugten Gesprächsstil.

Wie kann man Führungskräfte überzeugen?

Dies sind sechs sehr unterschiedliche Überzeugungsstrategien für Verhandlungen und Diskussionen:

  1. Druck erzeugen durch Gesetze, normative Vorgaben oder mit der Androhung von Autoritäten wie Aufsichtspersonen
  2. Rationales Argumentieren mit Zahlen, Daten und Fakten wie dem Return-on-Investment
  3. Mehrheit beschaffen, indem man möglichst viele Personen auf die eigene Seite zieht
  4. Quid pro quo: also zunächst in Vorleistung zu gehen, um dann einen Gefallen einzufordern
  5. Den Fuß in die Tür bekommen durch eine kleine Bitte, welche dann zu immer größeren Bitten wird
  6. Die sprichwörtliche Tür ins Gesicht schlagen zunächst mit einer überzogenen Forderung, um dann sich "breitschlagen" zu lassen auf die, in Wirklichkeit immer gewollte, Forderung

Welche Vorgehensweise von Erfolg gekrönt ist, hängt vom Thema, dem Gegenüber und der Beziehung zueinander ab. Aber es gibt mittlerweile auch wissenschaftliche Studien explizit für den Bereich der Arbeitssicherheit dazu.

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Überzeugungsarbeit

Die Universität Wien hat von 2016 bis 2018 eine spannende Längsschnittuntersuchung durchgeführt zu "Arbeitssicherheit im Betrieb – Die Wirksamkeit von Sicherheitsfachkräften verstehen".

Dabei wurde unter anderem die Wirksamkeit von drei Argumentationsstrategien untersucht:

  • Rationales Argumentieren
  • Druck erzeugen
  • das Einschalten übergeordneter Instanzen

Rationales Argumentieren mit Fakten und logischen Schlussfolgerungen wirkt immer signifikant positiv auf die Unterstützung durch die Führungskraft. Und es wirkt dann deutlich stärker, wenn die ArbeitsschützerIn auch hohe Expertise hat.

Druck zu erzeugen sollte nur bei groben Verstößen erfolgen, da dies eher zu Ablehnung durch Führungskräfte führt, wenn wenig Expertise da ist. Wenn man als ExpertIn angesehen ist im Betrieb, dann hat der Druck im besten Fall keine Auswirkung darauf, ob einen die Führungskräfte unterstützen. Sonst sinkt dadurch die Unterstützung. Als Überzeugungsstrategie ist ein solcher Druck deshalb äußert ungeeignet.

Das Einschalten von übergeordneten Instanzen wie externen Institutionen oder dem höheren Management führt unter keinen Umständen zu mehr Unterstützung durch Führungskräfte. Dies kann sogar so vermehrter Ablehnung der ArbeitsschützerInnen führen, wenn diese nur wenig Expertise mitbringen. Daher ist diese Vorgehensweise nicht geeignet, um tatsächlich zu überzeugen.

Spannend ist auch, dass in Betrieben mit Sicherheits- und Gesundheitsmanagementsystemen die Fachkräfte für Arbeitssicherheit auch stärker als ExpertInnen und Vorbilder wahrgenommen werden. Umgekehrt berichten auch die ArbeitsschützerInnen von einer erfolgreicheren Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung, der Belegschaft und der Belegschaftsvertretung.

Ein Ziel aller Fachkräfte für Arbeitssicherheit sollte auch sein, organisatorisch möglichst eng eingebunden zu sein. Denn diese organisationale Unterstützung verbessert das Sicherheitsklima langfristig und reduziert damit nachweislich Arbeitsunfälle.

Auch konnte gezeigt werden, was viele von Ihnen sicher schon oft bemerkt haben: Betriebe bevorzugen BeraterInnen mit ähnlichen Werten hinsichtlich Arbeitssicherheit. Das führt uns zum nächsten Punkt.

Sympathie als zentraler Faktor

Wie in allen Bereichen der Organisationsberatung ist Sympathie zwischen den handelnden Personen zentral für die Wirksamkeit des Fachwissens. Denn die größte Kompetenz kann nicht wirken, wenn die Zuhörer nicht positiv oder zumindest neutral dem Sender gegenüber sind.

Gerade bei tiefergehenden Beratungsgesprächen wollen wir in der betrieblichen Prävention auch Ehrlichkeit von unserem Gegenüber. Denn wenn wir nicht erfahren, ob die Umsetzung von Vorschlägen an Unwissenheit, Unvermögen, Desinteresse oder mangelnder Wirksamkeitsüberzeugung scheiterte, dann haben wir keine Ansatzpunkte für zukünftige Veränderungen. Alle unsere AnsprechpartnerInnen machen sich in irgendeiner Art und Weise Gedanken über Arbeitssicherheit. Sie haben eigene Theorien über Wirkungszusammenhänge, rechtfertigen das bisherige Verhalten vor sich selbst und denken vielleicht, dass sie in Zukunft bestimmte Dinge sowieso nicht verändern können. Und in diesen "inneren Dialog" wollen wir als BeraterInnen eintauchen, um besser zu verstehen und damit besser beraten zu können.

Wie kann dies gelingen?

Sympathie wecken

Regelmäßige, auch informelle Treffen mit kurzen Gesprächen führen zum sogenannten "Mere-exposure"-Effekt”. Dieser zeigt auf, dass durch regelmäßige Wahrnehmung einer Sache, die man anfangs neutral gesehen hat, diese dann als positiv wahrnimmt. Dadurch wirken vertraute Menschen sympathischer.

Sympathie beruht auch immer auf gegenseitiger Zuneigung. Überlegen Sie daher, was Sie an Ihrem/r GesprächpartnerIn mögen und wo Sie beiden sich ähnlich sind.

Um Sympathie zu wecken, sollten Sie auch ehrliches Interesse an Ihrem Gegenüber zeigen. Fragen Sie nach dessen Wünschen, Bedürfnissen und Überlegungen ("Was denken Sie darüber? Glauben Sie, dass das funktionieren kann?"). Hören Sie zu und erzählen Sie nicht nur von sich und Ihren Gedanken!

Ein weiteres Prinzip, welches man nutzen kann, ist die Reziprozität, also das Prinzip der Gegenseitigkeit. Wenn wir Menschen etwas bekommen, dann wollen wir auch etwas zurückgeben. Über einen längeren Zeitraum hinweg wollen wir ein ausgeglichenes Verhältnis haben zu unseren Mitmenschen und beispielsweise nicht in deren Schuld stehen. Dieses Prinzip kann man sich zunutze machen, indem man als BeraterIn in Vorleistung geht. Zeigen Sie schon beim Erstgespräch, dass Sie großzügig mit Ihrem Wissen umgehen. Geben Sie, wenn es gerade passt, Literaturtipps oder senden Sie danach noch Informationen zu, die Ihrem Gegenüber im Arbeitsalltag helfen. Ihre AnsprechpartnerInnen werden es Ihnen danken und eher bereit sein, später auch einen Gefallen zurück zu geben.

Ein letzter wichtiger Punkt ist die eigene Verletzlichkeit. Zeigen Sie, dass auch Sie nur ein Mensch sind und nicht allwissend oder unfehlbar. Wenn Sie sich als HeldIn aufspielen, fühlen sich alle anderen herabgesetzt, und das sind keine positiven Emotionen. Kommunizieren Sie daher auch eigene Fehler ("Das ist mir auch schon einmal passiert.") oder Wissenslücken ("Das muss ich selbst noch einmal nachlesen."). Das macht Sie menschlich, nahbar und damit sympathisch.

Problemfokus oder Lösungsfokus?

Zwei grundlegend unterschiedliche Herangehensweisen an Beratungsgespräche sind Problemfokus ("Was genau ist das Problem? Das klingt ja furchtbar!") und Lösungsfokus ("Was haben Sie bereits unternommen um die Herausforderung zu lösen? Was hat sich verbessert seit unserem letzten Gespräch?").

Viele ExpertInnen im Bereich der Arbeitssicherheit analysieren gerne Probleme, wollen herausfinden, warum etwas nicht funktioniert hat oder was denn nun Schuld ist an einem Arbeitsunfall. Bis zu einem gewissen Grad ist dies auch rechtlich so gewollt. Dennoch sollten wir uns gewahr sein, dass diese Vorgehensweise oft unseren AnsprechpartnerInnen und uns selbst Energie raubt und einen negativen Fokus etabliert. Dadurch werden die Probleme gefühlt immer größer.

Besprechen Sie daher auch bisherige Lösungsansätze. Gehen Sie davon aus, dass alle Menschen sinnvoll handeln, zumindest nach deren eigenem Verständnis. Fragen Sie daher nach den Gründen, warum Maßnahmen noch nicht umgesetzt wurden. Fokussieren Sie sich auf die bereits erfolgreichen Veränderungen, auf die nächsten Schritte und auf die vorhandenen Ressourcen.

Bei schwammigen Zielen wie "Steigerung der Sicherheitskultur" ist es ebenso hilfreich, sich darüber zu unterhalten, woran man einen Erfolg erkennen wird und was sich dadurch ändern soll.

Virtuelle Beratungen

In den letzten Monaten probierten immer mehr BeraterInnen auch Online-Beratungen und virtuelle Unterweisungen aus. Auch Unternehmen waren dafür offen wie nie zuvor! Wenn Sie Ihre Beratungskompetenz auch online ausspielen wollen, sollten Sie dafür eigene spezifische Dinge beachten.

Hier sind sieben Tipps für Onlineberatungen für Einzelpersonen oder Kleingruppen:

  1. Verwenden Sie eine externe Kamera auf Augenhöhe statt der unvorteilhaften Laptopkamera von unten. Stellen Sie alternativ den Laptop auf einen Büchstapel.
  2. Online entscheidet vor allem die Audioqualität bei Gesprächen: Verwenden Sie daher ein Headset oder die Bluetooth-Kopfhörer des Smartphones.
  3. Wählen Sie einen neutralen Hintergrund, wenn Sie im Homeoffice arbeiten, statt dem Wohnzimmer oder der Küche.
  4. Überprüfen Sie beim Einstieg zuerst gemeinsam die Technik und die Internetgeschwindigkeit der Teilnehmenden.
  5. Bei mehreren Teilnehmenden sollten Sie eingreifender moderieren als Sie es offline gewohnt sind. Erteilen Sie aktiv das Wort, schalten Sie bewusst Mikrophone an oder aus und geben Sie noch klarere Anweisungen.
  6. Gerade bei Meetings schreiben Sie mit auf einem virtuellen Whiteboard, dem geteiltem Bildschirm oder mit einer zweiten Kamera, welche auf das Blatt Papier gerichtet ist.
  7. Denken Sie daran: Alle verbalen Interventionen wie Fachvorträge, Diskussionsrunden oder Fragetechniken aus dem Coaching funktionieren auch online! Und viele Techniken können mit wenigen Veränderungen auch online umgesetzt werden wie Punkteabfragen, Abstimmungen, Brainstorming oder Kleingruppen-Übungen.

Fazit

Zentral für Ihren Erfolg in Arbeitssicherheit ist die Beratungskompetenz. Diese kann man lernen und auch als langjähriger Profi immer noch schrittweise optimieren. Suchen Sie sich einen Tipp aus diesem Artikel aus, welchen Sie kommende Woche ausprobieren wollen.

Literatur

  • Arbeitssicherheit im Betrieb – Die Wirksamkeit von Sicherheitsfachkräften verstehen. Universität Wien. 2016 – 2018. https://sicherheitsklima.univie.ac.at/
  • Burgstaller, S. (2015). Lösungsfokus in Organisationen: Zukunftsorientiert beraten und führen. Carl-Auer Verlag
  • Herkner, W. (2001). Lehrbuch Sozialpsychologie. Hogrefe

Ein Gastartikel von Veronika Jakl für die Zeitschrift "Sicherheitsingenieur", erschienen am 14.05.2021

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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