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Bayerische Staatszeitung: "Termindruck, Arbeitstempo, mangelnde Anerkennung."

Wie lässt sich die Zahl der Unfälle am Bau reduzieren? Darüber sprach die Bayerische Staatszeitung mit Agnes Kelm, Leiterin des aktuellen Forschungsprojekts „Arbeitsschutz – Building Information Modeling“ an der Bergischen Universität Wuppertal, und Veronika Jakl, Projektleiterin Arbeitspsychologie Jakl.

BSZ Frau Jakl, ein Zimmerer- oder Dachdeckerbetrieb erhält einen Auftrag für eine Baustelle und kommt mit der Bitte einer Gefährdungsbeurteilung auf Sie zu. Wie gehen Sie in einem solchen Fall vor? Welche Empfehlungen geben Sie als Arbeitspsychologin?

JAKL Ich würde mich zunächst mit dem Auftraggeber zusammensetzen und mir den Aufbau der Firma erklären lassen. Wie viele Mitarbeiter arbeiten dort? Wie ist die Aufgabenverteilung? Gibt es Vorarbeiter oder Meister? Dann bespricht man gemeinsam, welche Form der Analyse am besten geeignet ist. Gerade in kleinen Betrieben sind meistens Gespräche vor Ort oder moderierte Gruppendiskussionen mit den Mitarbeitern am praktischsten. So kann ich mit ihnen vertraulich über die vorhandenen Stressfaktoren sprechen und mir vielleicht auch Abläufe zeigen lassen. Anschließend bespreche ich die Ergebnisse mit den Führungskräften beziehungsweise dem Auftraggeber und gebe Empfehlungen ab, was man gegen die vorhandenen Stressfaktoren machen kann. Dann wird gemeinsam besprochen, was umsetzbar ist.

 

BSZ Warum sind im Bauhandwerk die psychischen Belastungen höher als in anderen Berufszweigen?

JAKL Die Ergebnisse der Europäischen Befragung zu Arbeitsbedingungen (EWCS 2015) zeigen, dass das Arbeiten unter Termindruck, das hohe Arbeitstempo, das mangelnde Anerkennen oder die Konfrontation mit negativem Sozialverhalten die Befragten aus Deutschland im Sektor „Bau und Verkehr“ im Vergleich zu anderen Branchen am stärksten betreffen. Auch ortsveränderliche Arbeitsplätze, lange Arbeitstage, die höhere Unfallgefahr, anstrengende Sommerhitze, Lautstärke sind Faktoren im Bauhandwerk, die die Psyche belasten.

 

BSZ Doch auch die präventive Gefährdungsbeurteilung, egal ob dies durch Spezialisten oder in naher Zukunft via App geschieht, ist keine Garantie, Unfälle zu vermeiden. Wie unterstützen Sie Betriebe nach einem Unfall? Welche Rädchen müssen da ineinandergreifen, um beispielsweise Verunfallten beziehungsweise Arbeitskollegen schnellstmöglich die beste Unterstützung zu gewähren?

JAKL Neben der medizinischen Versorgung von Verunfallten ist auch die Reaktion der Psyche wichtig zu beachten. Es geht einerseits um den Verunfallten selbst, der vielleicht Flashbacks vom Unfall hat oder später Angst entwickelt bei bestimmten Tätigkeiten wie Arbeiten in großen Höhen nach einem Absturz. Und es geht auch um die Zeugen des Unfalls, die ebenso geschockt und sogar traumatisiert sein können. Kriseninterventionsteams leisten hier psychologische Erste Hilfe. Sie werden häufig direkt durch die Einsatzkräfte, Polizei, Rettung, Feuerwehr alarmiert. Sie unterstützen in den ersten Stunden bei der Realisierung und der Verarbeitung des Geschehenen. Es werden dann soziale Netze aktiviert und wird an weitere Hilfestellen vermittelt. Das reduziert das Risiko einer posttraumatischen Belastungsstörung. Als Arbeitspsychologin geht es mir um die spätere Bearbeitung im Betrieb: Welche Faktoren haben zum Unfall geführt? Was muss verändert werden, damit das in Zukunft nicht nochmals passiert? Manchmal geht es auch um den Aufbau einer Fehlerkultur, weg von einer Schuldkultur nach solchen Ereignissen. Oder um das Hinterfragen von Routinen („Das haben wir immer schon so gemacht.“). Ein Unfall oder ein Vorfall ist nie nur auf eine Ursache zurückzuführen.

 

Originalartikel: Bayerische Staatszeitung. 03. November 2017. Seite 25.

Veronika Jakl

Arbeitspsychologin, Autorin ("Aktiv führen") und Gastgeberin bei den "Pionieren der Prävention".

Begleitet seit 12 Jahren Organisationen dabei motivierende Arbeitsbedingungen zu schaffen und psychische Belastungen zu reduzieren. 
Unterstützt PräventionsexpertInnen, die wirklich etwas bewegen wollen.

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